Feuertaufe
Der Befähigungskurs zur ehrenamtlichen Mitarbeit in der Hospizbegleitung beinhaltet auch ein Prak-tikum im Hospiz. Zum erstmaligen Kontakt bekam ich eine "Patin" zur Seite gestellt, die mit mir ge-meinsam einige Gäste besuchte. Das war sehr hilfreich, empathisch aber auch - gut und schön, denn beim nächsten Mal sollte ich, von so gut wie keiner Sachkenntnis getrübte Praktikantin, a l l e i n e die Menschen im Hospiz besuchen.
Vom sympathischen Pfleger (bisher habe ich ausschließlich sehr nette, empathische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen gelernt) kam der Vorschlag, mich am Bett von Herrn D. ein wenig aufzuhalten, da er sehr unruhig sei. Ich hatte von meiner Patin, Frau K., vorab schon ein wenig über Herrn D. erfahren. Er war schon ziemlich lange Gast im Hospiz, so dass alle, so auch Frau K., ein besonderes Verhältnis zu ihm aufgebaut hatten. Sie erzählte z.B., dass Herr D. es genoss, den Rücken gekrault zu bekommen und dass sie ihm kürzlich den Heißhunger auf Currywurst mit Pommes erfüllen durfte. Es wurde deutlich, wie froh sie darüber war.
Herr D., Mitte 50, sehr abgemagert, im Bett liegend, war zwar mit meinem Besuch einverstanden, ignorierte mich aber nach der Begrüßung vollkommen. Auf meine Konversationsversuche reagierte er überhaupt nicht oder mit einem knappen Ja/Nein. Er kratzte sich nahezu ständig, Oberkörper, Arme, Brust .....dann den Intimbereich? Ich wollte schon aus dem Zimmer flüchten, da sah ich, dass sein Unterkörper irgendwie fest mit Mull o.ä. gewickelt war. Ich b l i e b !
Ich glaube, er nahm mich gar nicht mehr wahr, er fiel immer wieder kurz in den Schlaf. Ich saß tatenlos da und erinnerte mich an das im Kurs gelernte AUSHALTEN KÖNNEN. Das galt auch für den dudelnden Trash-TV-Sender. Am liebsten hätte ich den Kasten ausgeschaltet, aber auch hier erinnerte ich mich: DER GAST BESTIMMT! Ich hatte hier keinen "Heimvorteil" - also AUSHALTEN!
Herrn Ds. Augen streifen mich ab und zu teilnahmslos. Er begann wieder mit der Kratzerei wie besessen. Er kam langsam hoch zum Sitzen und versuchte, seine Schultern zu erreichen. Ich fühlte mit ihm, dass es eine Folter sein muss, den Juckreiz nicht stillen zu können.
Es ist für mich selbst immer noch u n g l a u b l i c h - aber ich habe ihn tatsächlich gefragt, ob ich mal seinen Rücken ein wenig schubbern soll. Ja, ich sollte - und wenn ich nicht irgendwann gesagt hätte: "Noch 2 Minuten, Herr D., dann muss ich leider für heute gehen", dann würde ich immer noch kratzen. Ich verabschiedete mich mit den Worten: "Nun bin ich ja keine Anfängerin im Schubbern mehr, beim nächsten Mal weiß ich, wie ich Ihnen eine Freude machen kann."
Daraufhin beschenkte er mich mit dem ersten r i c h t i g e n Blick, den ich so nur von meinen Kindern bei der Weihnachtsbescherung kenne.